Donnerstag, 30. Juli 2020
Fokus: Reinigung
Gestern habe ich mir erlaubt traurig zu sein. Kein übertünchen der Gefühle. Kein Hörbuch, das mich von meiner eigenen Geschichte ablenkt, nur meine echten Gedanken. Das ist etwas Besonderes für mich. Ich bin so umspült von meiner eigenen Gedankenwelt, die niemals aufhört zu erzählen, zu planen, zu wiederholen, sodass ich geübt bin, sie übertonen zu müssen, wenn ich meine Ruhe haben will. Hörbücher sind ein gutes Mittel. Bücher und Serien natürlich auch. Auch das bewusste Denken an neue Geschichten und alte Geschichten aus Film und Buch ist eine dieser Ablenkungen. Doch gestern nicht. Da sollte alles ungefiltert sein.

Es gab viele Tränen hinter der Sonnenbrille. Keine neuen Erkenntnisse über den Ursprung meiner Gefühle. Viel Schmerz. Und dann? Dann ging ich nach Hause. Ich meldete mich noch einen Tag krank und fing an ein neues Buch zu lesen. Man kann nicht für immer traurig sein. Man kann sich nicht für immer dem Schmerz stellen. Dann würde der Schmerz zu viel Raum einnehmen. Die Gefühle über meine aktuelle Situation sind ein Teil von mir, aber nicht alles. Das Ausleben bewirkte auch, dass ich die Grenzen des Schmerzes abstecken konnte. Bis hier hin tut es weh und nicht weiter. Ich habe diesen Teil ein Stück weit im gestrigen Tag zurückgelassen. Er ist aus mir herausgebrochen, wie Schweiß, ist abgeperlt und auf der Strecke zurückgeblieben.

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Samstag, 25. Juli 2020
Fokus: Ablenkung
Heute habe ich mir erlaubt, traurig zu sein. Zu Hause sein war unangenehm, umgeben von all den Ablenkungen und Dingen, die erledigt werden könnten. Ich habe in letzter Zeit meine Kiefer so fest zusammengedrückt, dass ich davon Kopfschmerzen und Schwindel bekommen habe. Ich sehe alles nur verschwommen. Also bin ich nach draußen gegangen, um zu sehen, wie es mir damit geht. Ich habe kein Hörbuch angemacht, um mich abzulenken. Ich werde keine Pläne machen, was es nachher leckeres zu Essen gibt oder was ich sonst tun kann, damit es mir besser geht. Ich habe mir erlaubt, meine Gefühle zu fühlen.

Traurig bin ich über meine berufliche Situation, die ich mir nicht ausgesucht habe, sondern über die andere bestimmt haben. Ich bin traurig, weil ich jetzt mit den Konsequenzen allein zurecht kommen muss. Als ich von den Verantwortlichen Hilfe erfragt habe, habe ich keine bekommen. Ich soll mir selbstständig etwas Neues suche. Ich bin traurig, weil ich auf dieser Suche bislang nur Ablehnung bekommen habe. Ich hin gut, aber nicht gut genug. Also stehe ich jeden Tag auf, um einen Job zu machen, der bestenfalls langweilig, schlimmstenfalls aufzehrend ist. Am traurigsten bin ich, dass mich die ganze Situation traurig macht. Ich möchte gerne stark sein, alles an mir abprallen lassen, stolz sein auf das was ich schon erreicht habe und jede Stunde, die ich außerhalb des Büros verbringe genießen. Aber das schaffe ich heute nicht. Die ganze Woche schon nicht und an so vielen anderen Tagen nicht.

Heute habe ich genug davon, mich von diesen Gedanken und den Gefühlen, die sie in mir auslösen, abzulenken. Ich gehe Spazieren. Als es Zeit wird, die Runde zu beenden und den Heimweg anzusteuern, gehe ich weiter. Ich will nicht nach Hause, will nicht weg von dieser Traurigkeit. Ein bisschen habe ich auch Angst davor, dass ich mich zu Hause mit Kleinigkeiten beschäftige und mich diese sinnlose Beschäftigung nur noch mehr deprimiert.

Also stehe ich hier im Getöse der industrialisierten Stadt. Allein und doch umgeben von Menschen. Manchmal wünsche ich mir, dass ich jemanden treffe, den ich kenne. Dass ich erzählen kann, wie es mir geht und mich diese Aussprache reinigt. Doch ich weiß, dass wird nicht passieren und wenn doch, wäre es doch nicht so, wie ich mir das wünsche.

Jede Erzählung einer Krise ist die von deren Überwindung. Also muss jetzt ein Plan für mich her. Wenn ich mir wünsche stark zu sein, kann ich auch stark sein. Ich gehe nach Hause und höre auf, traurig zu sein. Ich gehe ins Büro und tue was von mir verlangt wird. Ich höre nicht auf, weiter zu versuchen, dass alles besser wird, weil das bedeuten würde aufzugeben und für immer traurig zu sein.

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Freitag, 24. Juli 2020
Fokus: Fokus
Dies ist der erste Eintrag in meinem Tagebuch, das ich Fokus nenne. Die Idee ist es, sich auf ein Thema zu konzentrieren, den Fokus. Es soll keine Aneinanderreihung von Ereignissen des Tages geben. Ein Journal, zur Erinnerung an Erlebtes brauche ich nicht und auch niemand sonst. Mein Leben ist nicht aufregend. Es geht um Konzentration, um die Ausrichtung der Gedanken auf ein Thema pro Eintrag, wenn man so will auch um Meditation.

Ich weiß nicht, wie andere damit zurechtkommen, aber ich leide schon lange darunter, dass meine Gedanken nie zur Ruhe kommen. Tagsüber wälze ich die Aufgaben die vor mir liegen durch und plane alle Schritte im Voraus. Unversehens kommen Erinnerungen und Ereignisse der Vergangenheit, mit denen ich in einem inneren Monolog versuche umzugehen. Manchmal auch im Dialog mit Menschen aus meiner näheren Umgebung. Oft die immer gleichen Gespräche zu den immer gleichen Erinnerungen. Während der Entspannung in der Sauna, während der Nacht, während des Sex, immer Gedanken, immer Pläne, immer Bewertungen der aktuelle Situation. Ich habe erkannt, dass es mich das alles sehr viel Energie kostet.

Das Schreiben zu nur einem Thema soll dazu dienen, sich zu fokussieren. Deswegen der Name. Es solle die Gleichzeitigkeit alle Gedanken für einen Augenblick pausieren lassen. Das Handwerk des Aufschreibens hilft, diesen Fokus tatsächlich einzuhalten. Neben Inhalt und Formulierung zu einem Thema sind nicht viele andere Gedanken möglich. Ich habe gelesen, dass Menschen, die Tagebuch schreiben, gesünder und ausgeglichener sind. Gedanken aufschreiben befördert sie buchstäblich aus dem Kopf. Sie sind gespeichert für die Zukunft und müssen nicht mehr unkontrolliert im Kopf herumwabern.

Gleichzeitig habe ich den unbestimmten Traum Schriftstellerin zu werden. Unbestimmt, weil es zwar viele Vorstellungen dazu gibt – wie ich in einem Cafe sitze und an einem Buch schreiben, wie ich Erfolg damit habe, es gibt auch schon verschiedene Figuren und Handlungsstränge – aber noch keinen Plan. Dieser Traum findet immer in irgendeiner Zukunft statt, die noch nicht angefangen hat. Ich fange damit an, wenn ich mein Leben geordnet habe, wenn ich einem Job habe, der mich nicht ankotzt und auslaugt, wenn ich Zeit dafür haben, wenn ich den passenden Einfall habe und dadurch alle wie von selbst läuft. Das Schreiben des Fokus ist der erste Schritt, mit dem Schreiben überhaupt zu beginnen.

Es gibt Regeln für den Fokus. Erstens: es gibt immer nur ein Thema. Ziel ist die Konzentration. Ausschweifungen sind kontraproduktiv. Zweitens: absolute Ehrlichkeit. Es ist schwerer als man denkt, sich nicht selbst zu belügen. Dinge die mir peinlich sind, die mir wehtun, die ich vor mir und anderen verstecke werden aufgeschrieben. Dies ist kein Lifestyle Blog, niemand muss mich bei der Lektüre mögen, nicht einmal ich selber. Ich denke, dass die absolute Ehrlichkeit heilsam sein kann. Dies führt mich zu Regel drei: Anonymität. Keine Fakten, keine Namen keine Anhaltspunkte wer ich bin, wo ich bin, was ich bin. Das erzeugt die Freiheit, Regel zwei zu befolgen. Letztlich viertens: Es geht um mich, nicht die anderen. Der Fokus ist darauf ausgelegt, als Blog veröffentlicht zu werden. Es ist jedoch egal ob ihn jemand liest. Es geht um Selbstentblößung als Mittel zu Heilung, um konzentrierte Nacktheit ohne Gesicht. Ich spreche mit mir, nicht mir dir. Das war´s.

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